Am Ende eines langen Wintertages, eines langen Wintermonats, einer schier nicht enden wollenden langen Winterzeit, inmitten von Personen, die einen qua enger Verwandtschaftsgrade dazu verpflichten, sich um deren Fieberkurven, Teebedürfnisse und Inhalationsverordnungen zu kümmern, wenn man sich seit Wochen die eigene Erkältung verkneift, man sich dafür einen eingeklemmten Nerv im unteren Rückensegment einhandelt und auch diesen weg atmet (weil Mütter und Partnerinnen (ganz ohne Gendersternchen) nicht krank werden), wenn seit Wochen der eigene „Kreativ-Shit“ genauso wie das neueste Bronchitisopfer liegenbleibt, wenn man zwar einen Kitaplatz ergattert hat, aber das Kind den gesamten Januar/Februar krank ist, dann beginnt um ca. 22:22 Uhr die „Blaue Stunde“.
Or better known as: Mama needs a drink. Ich glaube fest, wie einst die britischen Besatzer in Indien, dass nicht das Tonic, sondern der Gin die Krankheiten abhält. Bronchitis: Go Home! Pfeifersches Drüsenfieber: Raus! Schlucken tut weh… Biss-s-s-sum-Morgenkater.
Die Kunst aufrecht stehen zu bleiben, trotz zweitem Drink, während einem ein Kind im harten Strahl vom Hochbett ankotzt. „No surrender!“ Wie neulich ein von Rheuma und Arthritis geplagter, auf Krücken gestützter, älterer Herr im Schloss Windsor freundlich intonierte, als ihm ein freundlicher Schlossmitarbeiter einen freundlichen Stuhl während der Führung anbot. „Thank you, but NO SURRENDER!“ proklamierte er atemlos lachend. „Yes, SIR!” Proste ich ihm zu, während ich den dritten Gin-Tonic erhebe und auf das Wohl der Mütter dieser Welt trinke, wohl wissend, dass der nächste Bauchschmerz vom Antibiotikum, der nächste Hustenanfall mit Bröckchen, das nächste unstoppbare Nasenbluten, der nächste männliche Jammeranfall -weil er stirbt, sehen Sie das nicht?- kommen wird. So sicher, wie das Dröhnen aus den Lungen, das Schwitzen in die Kissen. Die Kunst leicht angeheitert, dem Mann zu erklären, dass sein Krankheitsverlauf wirklich nicht von der Norm abweicht und dass eine Bindehautentzündung zwar mies ist, aber Notärzte deswegen nicht gerufen werden dürfen, auch wenn das Auge echt total zugeklebt und der Mann quasi erblindet ist. 47 Monkeys und ein Halleluja, wenn einem „Gutes“ widerfährt, darauf einen Düdjardeng, wenn die Nacht anbricht und alle in den Betten verstaut und aus den Räumen verstopftes Schnarchen gurgelt, dann klirren die Eiswürfel in das Longdrinkglas. Mama bereitet sich auf die Nacht vor. Fieberträume inklusive wird die Zeit bis Mitternacht von jetzt ab meine Zeit sein. Ich kann zeichnen, schreiben, malen, dichten oder aufräumen, Wäsche waschen, duschen, sitzen, über all die verpassten Gelegenheiten nachdenken ins weitere Ausland abzuhauen. Blue Moon, blaue Zeit, blaue Phase, blaue Mutti. Januar und Februar kann man als Mutter eigentlich aus dem Kalender streichen. Nichts geht mehr. Meine blaue Phase ist gänzlich unbebildert. Vielleicht zeugt nur hier und da ein Negativschatten meiner selbst an Badezimmerfliesen, hervorgerufen von einem unerwarteten Nasenbluten-Husten oder Spaghetti Soße, die nicht vertragen wurde, von der Zeit zwischen Jahreswechsel und Frühlinganfang und ich möchte auch nicht, dass es hierüber irgendwelches Bildmaterial geben wird. Mein Instagram hat sich selbst gelöscht. Für kreatives Development ist kein Zeitfenster darstellbar. Viele Illustrationsideen, die einem immer dann kommen, wenn man grade einem Baby den Rücken klopft, einen Wadenwickel erneuert, komatös in der Dusche einschläft, werden für alle Ewigkeit unillustriert bleiben. Texte werden nicht geschrieben, meine Performances werden ungesehen in den Zeitenstrom eingehen. „NO SURRENDER!“ ist mein allabendlicher Kampfruf, während ich über den Tigerteppich stolpere, halbschlafend, halbschwankend, halbbetrunken oder halbnüchtern. „Wer bin ich eigentlich!?“ lalle ich mein Spiegelbild oder meinen Mann an, wenn er mal aufhört zu sterben und jenes eine unvereiterte Auge öffnet, seine fiebernasse Hand zum Licht reckend und mich um Wasser anflehend. Kinderaugen können so blass sein. Appetitlose Menschen sitzen blutleer am Tisch und verweigern die Aufnahme von Gemüsesuppe.
„Ich bin nicht KLANK!“ ruft mein Baby mit 40,3 °C Fieber und schiebt die Unterlippe weit nach vorn. Woher hat sie das bloß? Doch, Baby, du bist klank. Klankheit umgibt mich. Nimmt allen Raum ein. Was sind wir doch für Weicheierkörper, Bazillenschleudern, Virenbrüter? Und on Top: Corona-Virus und ich spare mir Bierwitze an dieser Stelle. Einmal Wuhan Meatmarket und ich wundere mich überhaupt, dass wir nicht alle schon Fledermausflügel haben. Die Rache der gegessenen Kreaturen. Sieht man auch an der Fleischtheke beim Schlachter. Wurstköpfe und Schweineäuglein sind anerworbene genetische Veränderungen.
Die Kunst hält mich am Leben, der Gin verhindert Schlimmeres. Ich habe nie viel Alkohol getrunken. Nie Drogen genommen. Mein vorheriges Leben verlief weitestgehend vollrauschlos. Der Januar/ Februar allerdings macht es mir nicht leicht. „No Surrender!“ wird mein nächstes Buch heißen, meine nächste Ausstellung, der Titel des Restes meines Lebens. Ich werde die blaue Phase mit Gin taufen. Ich kann Medikamente besser verabreichen als ein Olympiaarzt. „No Surrender!“ den Viren, den Bakterien, dem Blut, dem Schleim, den Sekreten. Den Rest der Nacht verbringe ich mit ausnüchtern und nichts lässt einen schneller sober werden, als ein Kind mit Brechhusten. Meine blaue Phase endet im Morgengrauen, wenn alles ruhig ist auf der Titanic II, der Eisberg ist umschifft, wir sind nicht daran zerschellt, die Band spielt noch ein letztes Lied: „Doctor, doctor!“ von den Tomson Twins. Am Horizont erscheint der Morgen. Jetzt beginnt die graue Phase. Keiner verlässt das Haus, zu ansteckend. Im Morgen verschwinden auch die kreativen Ideen und weichen einer bleiernen Müdigkeit. Kunst und Kinderhusten sind unvereinbar. Der nächtliche kreativ Flow ist zurzeit eben nur ein sich lösender Nasenschleim. Husten kann kreativ sein, lernte ich unlängst. Oder war es produktiv? Na, wenigstens einer ist hier schaffend. Ich schaff nix.
Erschienen in:
How to Art – 11. Feb. 2020