Ich gedenke am Ende dieses endlosen Sommers, der schönen Frauen des Ostens. Wie schön sie waren, als ich ein Kind war. Ich bewunderte die Frauen im Osten- die gab es nur da. Frauen in Hamburg waren irgendwie ganz anders. Als Kind, noch prae-prae-pubertär, ohne sexuelles Verständnis gesegnet, bewunderte ich ganz aufrichtig und voller Hingabe die schönen nackten Körper der Frauen an den brandenburgischen und mecklenburgischen Seen. Nacktheit war für mich noch ein selbstverständliches Dasein, denn früher, so scheint es mir heute im Rückblick, waren alle Erwachsenen im Sommer nackt und am Badestrand. Und ich erschloss mir meine Welt aus Körpern, in dem ich ungeniert starrte. Ich glaube, einem kleinen Mädchen sah man es nach, dass es starrte, wenn man es überhaupt wahrnahm. Männerkörper waren meist uninteressant. Gänzlich. Schon seltsam, was ein paar Jahre und Hormone hier und da so ausmachen. Doch damals erschienen sie mir verkehrt und wackelig und unfertig. So, als hätte der „ Macher“ nur geübt. Ich traute mich meiste gar nicht richtig hinzusehen, um nicht den Prozess der Menschwerdung, und zweifelsohne, waren Männerkörper noch Work-In-Progress, zu stören mit meinem Gestarre.
Doch ganz anders die schönen Frauen im Osten. Früh badeseetrainierte Körper, stark und rund und langstreckt. Meist kurze Haare, denn alles andere wäre unpraktisch gewesen. Kaum trug eine Frau Make-Up - am Badesee sowieso nie. Starke Arme, kurze Nägel. Blonde Haare glitzerten auf braungebrannten, fahrradstarken Beinen. Weiche Brüste, runde Bäuche. Die Schönheit der Selbstverständlichkeit. Die schwarzen Dreiecke im Zentrum der Frauen bewunderte ich zutiefst. Die Schönheit dieser erwachsenen Frauen, schien mir makellos, nichts wurde von mir in Frage gestellt wurde. Mühelosigkeit war ihre Grazie. Unbewusst elegant bewegten sich die Frauen und es war mir so, als trügen sie bei aller Nacktheit, ihr schönstes Kleid. Ich liebte sie. Ich wollte auch so sein, irgendwann, wenn mir auch ein Busen und ein schwarzes Dreieck gewachsen waren. Ich verstand in meinem kindlichen Unverstand, dass es solche Frauen nur hier im Sommer gab. Im Herbst verhüllte man sich überall wieder und überließ seinen Körper den Spekulationen.
Während meines noch bachelorfreien und deshalb gnädig stressfreiem Studiums, sah ich allwöchentlich viele, viele nackte Körper und sollte mich dabei aufs Zeichnen und oder Malen konzentrieren. Professionelles Starren lernen? Nichts leichter als das! Die genaue Kenntnis der Anatomie und die Kunstfertigkeit zu üben, diese auf Papier und oder Leinwand zu bannen, begleitete mich jahrelang. Nie darf man (als Künstler) damit aufhören, den Körper wohlwollend und mit Inbrunst zu betrachten. Die Kunst des liebenden Auges, wurde mir hier und da bescheinigt. Und so ist es wohl auch geblieben. Ich liebe Körper von Menschen in all ihren Darreichungsformen. Hautumhüllte Wesen kommt zu mir, ich will euch wertfrei betrachten. Leichte Asymmetrien versetzen mich in Entzücken. Kleine Makel, große Fehlstellungen entzünden meinen Blick. Ich kann mich ganz und gar vergessen und mich selbst quasi „entkörpern“- was Jogis erst nach Jahrzenten der Meditation schaffen, gelang mir schon als kleines Kind. So wurde ich früher – am Badesee meistens- ein ums andere Mal geschubst und gestoßen, ermahnt und angezischt, wenn ich mich wieder in der Betrachtung eines Menschen verloren hatte und meiner selbst ganz entrückt, mit leicht offenem Mund und hängenden Ärmchen vor dem Objekt meiner Betrachtung, in stiller Liebe verharrte. Und gerne würde ich jetzt behaupten, dass sich das in irgendeiner Weise verändert hätte. Nur werde ich heute etwas unauffälliger ermahnt. Manchmal.
Der Badestrand war meine frühe Schule des Auges, um dann später die Auge-Hand-Koordination im Studium zu verfeinern.
Dort lernte ich noch einen wichtigen Moment hinzuzufügen. Den Ausdruck. Es reichte mitnichten, der liebgewonnenen Anatomie zu frönen, man sollte sich auf den Ausdruck, den Stil, den Duktus und die künstlerische Aussage konzentrieren. Die Anatomie war plötzlich zu vernachlässigen, zugunsten eines, wie auch immer gearteten Ausdrucks. Dazu brauchte es Empathie, das Mitfühlen, um den abzubildenden Körper auch mit dem nötigen Kunstbegriff zu füllen. Empathie mit sich, der Welt, dem was uns umgibt, der Seele des Menschen an sich und der Geschichte immer gewahr. Steht die Figur selbstbewusst oder verzagt, gepeinigt oder geliebt, steht sie mit Recht oder kämpft sie noch darum. Ist sie im Aufbruch oder am Ende einer Reise. Und was will uns der Künstler, um Himmels Willen und Herrschaftszeiten noch einmal, damit sagen? Und bitte achtet darauf auch den Raum einzubeziehen. Nein, schweben sollten sie nicht, die starken und schönen Frauen des Ostens. Immer zeichnete und malte ich diese Frauen. In jeder von uns steckt eine solche Frau, das weiß ich heute. Auch in jedem Mann, wenn er es denn wagt. Sogar wenn ich fotografiere, egal was oder wen, dann sehe ich diese Frauen auf den Bildern. Und vielleicht ist ein Kunststudium doch keine so schlechte Idee, denn es ist die Liebe zum Mensch -(sein) und die Empathie – Bildung, die man dort lernen kann, und die heute so wichtig ist. Wichtiger, als alles andere. Ich war ein menschenliebendes Kind und wurde ein menschenliebender Erwachsener.
Mit der Menschenliebe erschließt man die Welt und der Blick bleibt wach und offen. Wirklich, ich fühle mich immer noch, wie das kleine Kind am Badestrand. Mein Geheimnis ewiger Jugend- Bis mich einer schubst.
Erschienen in:
How to Art – 14. Sept. 2018