Elektrische Kunst und unlöschbare Liebe

Neulich auf dem EMAF.

Für Nichteingeweihte oder Desinteressierte, das ist das European Media Art Festival in Osnabrück, einer sehr hübschen Stadt, im Übrigen. Da war ich mal wieder über meine eigenen Fragen über die Kunst verwirrt. Meine Fragen bezogen sich auf die Medienkunst und somit natürlich auf die Kunst im Allgemeinen.

Was ist Medienkunst ganz genau, wagte ich zu fragen, auf dem EMAF.

Das ist ungefähr so peinlich, wie damals meine Frage, während wir „Der Herr der Ringe“ in einer größeren Fan- und Rollenspieler Gemeinde im Kino schauten. Ich fragte allen Ernstes, ob Dumbledor jetzt tot sei! Ich habe jetzt andere Freunde…

Und, ob es Medienkunst ist, wenn es sich der Medien bedient, sie kritisch beleuchtet und hinterfragt, gar in Frage stellt ODER sich der neuen und neuesten medialen Techniken einfach nur bedient, weil Künstler*in sie geil und neu findet? Weil man mit Neuem dem Auszudrückendem Bild einfach immer näherzukommen vermag. Wie ein Maler eben gute Farbe benutzt und nicht in den Bildern deren Herstellung in Frage stellt.
Warum sollte man auch Ei-Tempra in Frage stellen?
Wäre ich ein Veganer, wäre es ja meine Pflicht Ei-Tempra in Frage zu stellen, während ich sie verwende, um darauf aufmerksam zu machen, welche Auswirkungen diese Ei-Tempra auch mich und die Umwelt, DAS HUHN und die Menschheit hat. ODER ich verwende eben NICHT Ei-Tempra, vielleicht eher Kartoffeldruck mit Sojafarben oder so, um DANN auf die Gefahren der Ei-Tempra Farbe an sich aufmerksam zu machen. Oder wie?
Moderne Medien meiner Meinung nach sehr wohl in Frage zu stellen sind.
Moderne Medien kaum zu finden waren auf dem EMF, erstaunlicher Weise.
Das sind keine Fragen mehr, ich weiß.

Mein mitreisender studierter Medienkünstler hörte sich dennoch meine Fragen an, erklärte dann, dass das Fach „Neue Medien“ im Studium das absurdeste Fach war, weil neue Medien und die Mühlen eines Universitätsbetriebes ein Oxymoron seien. Von anderer fachkundiger Seite wurde mir dann, sehr, sehr, SEHR deutlich gemacht, nachdem ich dorten meine Fragen losgeworden war, dass das HIER sowieso nicht relevant sei. Die ARS ELECTRONICA sei ausschlag- und maßgebend. Okaaay, das alte Problem mit der Kunst, sobald man sich aus den Ballungszentren bewegt, als da seien, New York, London, Paris, und Warneikel (Ja, wussten Sie das nicht?) ist man im Irrelevantland. Alles was man sieht, kann man quasi in die Tonne treten, das ist dann Kunst UND kann weg. Beflissen, weil ein Medienkunst-Neuling*IN, nickte ich. Das Wetter war mies und ich war nicht in Linz. Alles, was ich daraufhin gut fand, hatte den „Irrelevant-Button“ und ich war tief verunsichert. Ein hinlänglich bekanntes Gefühl.

Mich wundert, wie viel Mühe und Energie, Geld und Nerven Menschen immer wieder in die Verwirklichung von Kunstshows stecken, wobei sie doch allesamt dann von zynisch gewordenen anderen Kuratoren und überregionaler Presse abgeurteilt werden. Hut ab.

Und dann traf ich die Jule. Nein, die Jule traf mich. In mein Herz. „Die Jule mit den Pizzabrötchen“ ist ein Kunstwerk. Eine Liebesgeschichte in 52 Akten. Und noch immer bin ich begeistert über „Die Jule mit den Pizzabrötchen“. Jemand hatte ein Handy erstanden auf Ebay und darauf befanden sich 900 ungelöschte Nachrichten. Ein Buch ist entstanden, editiert und geschwärzt und Namen verfremdet, das man finden kann auf dem EMAF. Nur finden, nicht kaufen, und dann hat man ein an ein Reclam-Heft erinnerndes Büchlein und beginnt zu lesen. Und kann nicht aufhören. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun begleitet einen nachhaltig. Die Nachrichten handeln von unendlicher Liebe, unendlicher Enttäuschung, Verrat, Betrug, Sex mit dem Ex, Geldsorgen und Freundschaft und deren Aufkündigung(en) und wieder Aufnahme. Und alles innerhalb von 30 Chat-Minuten. Und alles in einem Facebook-Timeline gleichgeschalteten emotionalen Hoch-Tief-Egal-Modus. Epische Banalität. Shakespeare und „Romeo and Juliette,“ sind mega over and out! Heute ist „Die Jule mit dem Pizzabrötchen“ Phase, Alter! Und nachhaltig ist man bestürzt und begeistert zugleich, dass sich in 900 Nachrichten von jungen Menschen, nicht ein einziger kluger, wichtiger oder besonderer Gedanke befindet. Der Herausgeber, Matthias Hübner, stellt sich in den Hintergrund. Er ist nur der Überbringer der Botschaft, dass wir alle verloren sind. Die Handys, die Medien, die wir benutzen, sind längst klüger und intelligenter, als ihre menschlichen User. Und so banal und - sogar den Verfassern- egal dieser Chat-Verlauf auch sein mag, so unlöschbar ist er. Wie ein egaler Plastikstrohalm, der in der Nase einer Schildkröte für immer stecken bleibt, und wenn die Schildkröte längst Geschichte ist, dann liegt derselbe unauflösbare Strohhalm noch weitere 50.000 Jahre auf dem Meeresgrund. An Banalität nicht zu übertreffen. Erinnert uns Matthias Hübner somit an den gesamten Datenmüll, mit dem wir alles digital zupflastern. Wohin nur mit den abgefühlten Emotionen, wenn die Speicherorte voll sind? Vorbei die Zeiten, in denen man sich hinsetzte und ein paar mehr oder weniger wohlgesetzte Worte auf ein Papier schrieb, verschickte und welches dann auf der Empfängerseite bei genügender Ablösungswut in einer rituellen Verbrennung zu CO2 und Staub wurde.

Mit „Jule“ waren dann auch alle meine Fragen zur Medienkunst beantwortet.

EMAF rockt. Es lebe das Buch als Medium. Die Wichtigste Funktion auf jedem Electronic Device ist die „Delete Funktion“!

Erschienen in:
How to Art – 13. Mai 2019