Handwerk hat Morgenstund´ im Mund

In unseren seltsamen Zeiten, wenn früh der Blogger tief noch schläft und der Influencer noch immer Selfies vor dem angesagten Club macht, der Bachelor-Student seine Praktikumskarriere plant und der Typ, der irgendwas mit Medien macht, das Mädel, welches auf jeden Fall was mit Design studieren will, um einen gemeinsamen Uber-ride bittet, dann stehen in Deutschland immer weniger Leute auf, um sinnvolle Dinge zu tun. Wichtige Dinge, die wir alle für unser „Tächliches“, wie wir Hamburger sagen, so dringend brauchen. Brot backen, Wände mauern, Tische bauen, Kabel legen, Stahl biegen, Steine behauen.
Handwerk ist für die heutige Kunst eher hinderlich, murmelte unlängst ein Zeichner-Freund in seinen nicht vorhandenen Bart. Andere „Skills“ sind eher förderlich. Social-Media-Handhabung statt vollendeter Duktus. Party-Talker statt Revolutionär. Kommerzialität statt Hingabe. Modisch statt modern. Populär statt freigeistig.

Das ist jetzt erstmal nicht so schlimm, wenn es nur um die ungelenke Pinselei eines angesagten Mitte-Malers geht. Wenn ich allerdings in ein Haus einziehe, möchte ich nicht, dass mir nach zwei Monaten die Decke wieder entgegenkommt. Wir werden wieder Zeiten erleben, wo die Schlange der Wartenden um den ganzen Block geht, wenn es beim einzigen noch backenden Bäcker endlich Brötchen gibt. Einigermaßen gute Handwerker werden ihre Preise frei gestalten können, wenn es nur noch einen Menschen gibt, der weiß, wie man alte Häuser saniert oder wie man eine Fliese grade an die Wand klebt. Und wir werden erleben, wie Dinge in Vergessenheit geraten. Echte Skills. Wahre Fähigkeiten, die nur Jahre und Jahrzehnte langes Praktizieren hervorbringen.

Der beste Moment im Leben einer Reiterin ist nicht, wenn das eigenwillige Pferd endlich seinen Kopf neigt und rittig wird oder wenn man nach langem üben, endlich weiß, wie man sich nicht vollkommen lächerlich macht beim Aussitzen im Trab, nein, es ist, wenn der Schmied auf den Hof fährt. Wenn Männer heute immer wieder fragen, wie sie denn so sein sollen, zum Kuckuck noch einmal, dann einfach mal auf einen Reiterhof fahren, wenn der Schmied seinen Amboss aus dem Wageninnern hebt. Das Feuer entfacht, allseits, den Huf nebenbei anhebt, das Pferd sanft tätschelt, macht, dass es wieder grade laufen kann... Warum liegt hier überall Stroh...? Es bleibt dabei, Handwerk ist sexy! Niemand wird widersprechen können, dass einem Patissier bei der Arbeit mit Teig zuzusehen, Frau frei assoziieren lässt, was er noch so alles durchkneten kann mit diesen Händen. Einem Tischler zuzusehen, wie er über frisch gehobelte Oberflächen streicht, der Koch, der flott ein Paar Möhren in Juliennen schnippelt... wer was kann, kann niemals nichts können. Schneidern, drechseln, mauern, braten, backen, operieren, Tätigkeiten, die uns kleiden, versorgen, heilen, wärmen, sättigen. Und wenn Handwerk in die Nähe der Vollendung rückt, wird es zur Kunst. Die Grenze ist fließend, aber deutlich. In Japan wertschätzt und verehrt man den Handwerker und seine Lehrjahre endet erst mit seinem Hinscheiden. Die Suche nach der Perfektion dauert ein Leben lang und es ist die Haltung zur Tätigkeit selbst, die es zur Kunst macht. Da macht es keinen Unterschied, ob man Sushi formt, Nudeln zieht oder Keramik bemalt.

Wer schon mal einem echt guten Zeichner dabei zugesehen hat, wie er etwas festhält auf Papier, wird sich fragen, warum man nicht einfach den Rest des Lebens zuschauen darf. Die Kunst nun aber, für diese freie Lichtgestalt der Zünfte, soll nun all dieses an Erotik grenzendes Können gar hinderlich sein. Man soll sich nicht „festhalten“ an althergebrachtem Kunstverständnis und getreu dem Beuys´schenMotto: „Jeder ist ein Künstler!“ darf drauflosgeschaffen werden ohne Rücksicht auf Verluste, vor allem der Würde. Und mal ehrlich, ohne jedes Können ein Bild zu malen, kann man machen, ist vollkommen okidoki, aber ich kann nicht aufhören daran zu denken, wie ungeil das eigentlich ist. Mir vergeht jede Sinneslust und auch wenn die furztrockenen Gegenwartskunstintellektuellen mir dann seitenweise erklären, warum ich jetzt mal ganz falsch liege mit meiner Sicht auf die Dinge, weil es eben NICHT darum geht jetzt „betulich“ ein „schönes“ Bild zu malen, sondern darum, die Ungerechtigkeit des Huteitischen Dramenvolkes jenseits des Urals und deren folkloristischer Beinfreiheit, die wiederrum in den Wanderjahren des großen Wagens, nach Süden ziehen mussten und dann eben diese Filzhüte auf Leinwand gepappt werden musste und daneben eine Bürste und eine Kanne Milch. Und wie lange braucht der Zug jetzt bis Kassel? Moderne Textaufgabe der Kunstinteressierten. Ich sehe immer noch den gutaussehenden Restaurator gerne dabei zu, wie er vergilbte Firniss von der Leinwand schabt. Was macht der wohl mit ranziger Milch?

Und wenn bald in wirklich jedem Laden-Fenster unserer Republik ein Schild hängt, werden dorten niemals BLOGGER oder Influenzer gesucht werden. Und auch keine ungelernten Künstler mit oder ohne theoretischer Abhandlung im Portfolio. Liebe Mädchen, das wird eure Stunde sein. Wie einst nach dem Krieg, wo Frauen die Straßenbahnen fuhren und in den Berg zum Kohle hacken, jetzt könnt ihr richtig einen losmachen. Die Erotik einer Schmiedin und einer Tischlerin ist exponentiell gesteigert, wenn sie wirklich gut ist und meilenweit die Letzte ihrer Art. Und endlich werden Frauen unendlich reich und mächtig sein, wenn sie die einzigen sind, die wissen, wie man zum Beispiel die Holzdecke im Windsor Palast wiederherstellt. Und erst dann, wenn der letzte Bäcker im Prenzlauer Berg schließen muss, der letzte Audi unlackiert bleibt, die letzte Handtasche genäht wurde, der letzte Partybus nicht abfährt, weil keiner weiß, wie man Reifen aufzieht, dann erst wird der Mensch feststellen, dass man Influenzer nicht essen kann. Ist ja nix dran an denen.

Erschienen in:
How to art – 20. Okt. 2019