„Ich vermisse den Spirit“ – Interview Die Stilisten Juni 2022

Sylt war und ist auch für Florentine und ihren Vater Wolfgang Joop ein Ort voller Sehnsucht
und Erinnerungen. Höchste Zeit für ein launiges Gespäch

Ein Samstag im Mai, im Innenhof steht eine Hüpfburg, Geburtstagsvorbereitung, im Hintergrund picken Hühner, Florentine hat die Polster rausgeholt für die morbiden Gartenmöbel, Wolfgang trägt ein altes T-Shirt von Comme des Garcons mit dem Aufdruck „Everone is free“. In Bornstedt bei Potsdam, dem Gut seiner Kindheit, hat der Designer, der mit seiner Marke „Looks“ noch einmal durchgestartet ist, wieder einen idyllischen Familienort geschaffen, Ex-Frau Karin wohnt auch hier. Das Shirt ist Zufall, aber der Slogan ist unser Thema. Wir wollten mal wieder über unsere Insel reden. Es wird ein langes, lustiges, sentimentales Durcheinander.

Florentine: Warum musste ich immer ins „Café Orth“?
Wolfgang: Alternativ war noch das „Wiener Café“.
FJ: Wo war das denn? Da waren wir nie!
WJ: Doch.
FJ: Ich weiß, welches du meinst, ist ganz süß. Aber damals, als wir noch mit einer Drittelhausmitte gesegnet waren auf Sylt, in Archsum, da waren wir nie in der Strandstraße.
WJ: Ich spüre bis heute die Anziehungskraft vom Café Orth auf.
FJ: Immer Pastete.
WJ: Die Bedienung war cool, man war schnell  auf Freundschaftsbasis. Und dann kam eine hüfthohe Himbeertorte, die konnte man den ganzen Nachmittag Stück für Stück abtragen und dabei die Fashion-Codes der Friedrichstraße studieren. Partner-Look. Und Beige mit Türkis.
FJ: Immer saßen wir draußen, frierend. Damals war es immer kalt und windig. Und viel Regen. Ist heute nicht mehr so.

Wie habt ihr Sylt entdeckt?

WJ: Recht früh eigentlich. Sylt war ja ein exotischer Ort, für Hamburger nicht so, aber für Braunschweiger. Als ich nach Hamburg zog, hörte ich oft von Jil Sander, dass am Wochenende auf Sylt auch Curd Jürgens gewesen sei, Gunter Sachs, wirklicher Jet-Set. Und komischerweise hatten wir hier in Bornstedt eine Verbindung zu Siegward Sprotte. Der malte in den Vor-DDR-Zeiten noch Düreresk, auf Sylt hat er dann die große Wasserwelle entdeckt, die wahnsinnig gut ging. Drei Steine und Wasser. Hier auf dem Hof hatte er sich immer Eier für die Tempera geholt.
FJ: Du hast behauptet, deine Mutter hatte mal was mit ihm.
WJ: Es war eher so, dass die drei Schwestern sich gegenseitig, dem Herrn vorwarfen. Liesel, du wolltest doch!

Florentine, was ist deine liebste Erinnerung an Sylt?

FJ: Wir durften am Strand Ponyreiten. Das ist so einmalig gewesen. Und das Haus in Timesharing.
WJ: Nach Sylt zu fahren war immer Luxus. Für mich hatte es aber sehr lange noch den Geruch des alten Berlins, der 1940er-Jahre, als sich die Künstler dort versteckten. Die Existenzialisten.
FJ: Ich fand es sehr hippiemäßig, alternativ. Das ist der größte Unterschied zu früher. Es war nicht so schick. Oder anders schick.
WJ: Es war sehr sexy! Nackig mit Handtasche.
FJ: Und es gab das „Witthüs“.
WJ: Und das „Hinchley Wood“, in dem alle Moderedakteurinnen wohnten. Man war gern eng befreundet.
FJ: Was mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat als Kind, war, Otto Walkes zu treffen. Wir saßen im Auto – und er hat mit uns Witze gemacht. Und den Sänger von Alphaville, bei „Gosch“! Ich dachte: Wow, wer hier alles ist, so international.

Sylt steht für die Entdeckung der Lebensfreude in den 1970ern, das Reisen, den Spaß. Hamburger wie Bübchen Pünjer und Horst Wilhelm Otto hatten ja das „Pony“ gegründet, um einfach mal wieder zu tanzen.

WJ: Der erste Schwulenclub! Das „KT“, Kleist Casino.
FJ: Kenne ich. Meine Kindheit war ja sehr homosexuell. Wir waren auch immer in den Dünen. Erst als ich adoleszent wurde, stellte ich fest, dass die meisten gar nicht schwul sind.

Sylt war schon immer befreiter.

FJ: Es war alles liberaler. Nicht so viel Theater. Ich höre ja nicht auf davon zu erzählen, dass man früher die Kinder zum Schwimmenlernen in die Nordsee geschickt hat. Manche haben es geschafft… wie oft sind wir gegen die Buhnenreste gerauscht!
WJ: Diesen Spirit vermisse ich.
FJ: Es war luxuriös, aber nicht so „rich“ damals.
WJ: Seitdem man nicht mehr raucht, ist der Spaß gedrosselt. Möchte keine Reklame fürs Rauchen machen, weil ich es schlimm finde, aber trotzdem war es früher die Fluppe, man hat mehr gesoffen,
war lockerer.

Heute gibt es jede Menge Vorschriften vom Festland und die Leute, die sich Immobilien direkt hinterm „Pony“ kaufen und dann über den Krach beschweren. Aber am Strand herrscht noch Freiheit.

WJ: Traumhaft! Es ist ohnehin sehr individuell, ein State of Mind.
FJ: Wir waren auch immer braun. Eingecremt waren wir nie. Nur Papa mit dem Öl, damit die Haut brauner wird. Wohlstandsbraun. Dieser spezielle Sylter Ton. Mama hat immer lange und breit erklärt, warum er viel schöner ist als die Mallorca-Farbe. Er ist gepaart mit blonden Strähnen, wenig Make-up und kurzen Nägeln. Das haben wir als Kind schon aufgesogen.

Wann war es vorbei mit der Freiheit?

WJ: Als man aufhörte zu rauchen. Aber im Ernst, ich möchte das Gefühl nicht aufgeben. Ohnehin ist Sylt ein Ort, an den man sich klammert. Man war so gerettet nach dem Krieg. Es schmeckte anders, es roch anders. Gerade in der Zeit, als man wenig hatte, die unberechenbar war, ob man in der nächsten Woche noch klarkommt, ist man nach Sylt abgehauen. In der Trauerphase nach dem Zerfall meiner Ehe bin ich besonders gern nach Sylt gefahren. Und tue es bis heute.
FJ: Es hat diese geborgene Gemütlichkeit. Eine, die man erträgt, eine echte.

Erschienen in:
Die Stilisten 6/2022