Was machen wir denn jetzt mit dem Rest unserer Zeit in diesem Jahr?
Nun, der November ist ja eh der offizielle Throwback – Month,der Monat der Erinnerung und der Düsternis, der uns mit seiner grauen, nassen Fracht zum Drinnebleiben oder zum schnellen Abhauen in wärmere Gefilde einlädt. Abhauen ist ja nicht möglich, also drinnebleiben und innehalten, nach Innen verkriechen und erinnern, erinnern, erinnern. Samhain, Halloween, Allerseelen, Totensonntag. Erinnerungen an Vergangenes und Verstorbene. Das Wetter und die Pandemie zwingen uns zu Einkehr und Kontemplation. Ich wünschte mir dieser Tage ein paar Menschen um mich herum, von denen ich lernen könnte, wie man durch Krisen durchkommt. Großeltern und Großtanten wären jetzt gut, denn was würde ich sie alles fragen wollen derzeit? Viele zu viele Gespräche scheinen verloren, Themen nicht angeschnitten, Antworten, die ausblieben, weil die richtigen Fragen nicht gestellt wurden. Ganze Säle könnte man füllen mit verlorenem Wissen über das Überleben in schlimmen Zeiten. Und als ich jünger war, habe ich den Wert nicht gekannt von erlebten statt erlerntem Wissen. Krisenerprobte Menschen, die eine Party schmeißen, wenn jemand ein Pfund Kaffee und einen viertel Liter Sahne ergattert hatte. Der Blick meiner Großmutter, immer etwas entschuldigend, weil sie dachte, man könnte es als unangemessen betrachten.
„Na, dit hätte doch jeden Tag zuendejehn können,“ sagte sie dann immer. Aber sie haben überlebt, lange Zeit. Aber am Ende, das Leben überleben tut niemand.
Vielleicht habe ich doch viel zugehört, in den schweren Federbetten liegend, warm und aufgehoben, glitt ich durch Raum und Zeit, geführt von den Stimmen meiner Oma oder Großtante, die mir erzählten, wie es früher war. Und sie ließen nichts aus, die Damen, denn wenn nur Schmerz und Verlust keine Mangelware sind, in Kriegs- und Nachkriegszeiten, dann ist man am Ende weniger zimperlich. Und meine Augen wurden groß und meine Ohren wurden heiß. Wenn man das alles schon erlebt hat, dann wägt man Situationen anders ab. Panik hat noch nie geholfen. Deren Erfahrungen macht mich vielleicht grade so ruhig, wer weiß…
Ich sehne mich nach der Zeit zurück, wo ich mich von weitaus erfahreneren Menschen gelenkt und geführt fühlte. Ich erinnere mich an die guten Lehrer, die mich imStudium vor allem lehrten, Kritik auszuhalten und konstruktiv für mich umzusetzen. Eine seltsame ambivalente Situation, sich einerseits quasi zu unterwerfen und andererseits das Eigene stärken und aufzubauen. Nichts lehrte mich mehr als vernichtende Urteile. Nichts hat mich mehr angetrieben, als Abschätzung und Aburteilung. Und so oft ich mich falsch bewertet, nicht richtig gesehen, oberflächlich betrachtet fühlte, egal wie oft ich heulte und aufgeben wollte, es gab auch Leute, die meinten ich sollte gänzlich etwas anderes machen, weil ich talentlos und unkreativ sei… ich bin noch da und habe es irgendwie geschafft daraus etwas zu formen. Weiterzumachen. Denn es geht nicht um das Ergebnis, weil es nicht DAS Ergebnis gibt. Wir Maler, Zeichner, Musiker, Sänger, Performer wir haben einst am Anfang unseres kreativen Daseins unterschrieben, dass wir eine lebenslange Challenge eingehen. Wir sind niemals fertig mit uns und den Themen, unserem handwerklichen Können, unseren Fragen und unserer Arbeit. Wir verschnaufen allenthalben mal, machen Pausen oder halten inne, füllen unsere Tanks, machen neue Erfahrungen und dann gehen wir weiter, weiter, bis an die Grenzen und darüber hinaus. Ein Kreativer, der sich nicht aus der Safe-Zone wagt, gibt innerlich auf. Ein Künstler, der aufhört sich zu entwickeln wird hohl und schal und vergehen. Aber unerlässlich für diese wichtigen Entwicklungen sind gute „Lehrer“, Meister, Mentoren. Ohne Menschen, denen wir vertrauen und die uns erkennen und anleiten, trauen wir uns nicht aus unserer Safe-Zone heraus. Vielleicht ist das etwas, das wir Kreativen vermitteln können. Ängste vor Entwicklungen zu überwinden, weil sie essentiell sind. Die Challenge anzunehmen und sich nicht vor Angst in die Hose zu machen. Das Loslassen als Lebensgefühl integrieren. Dass, wenn wir in unserer angeblichen Safe Zone stecken bleiben, wir aufhören zu leben. Dass der Schutz auch manchmal der Tod von etwas ist. Vor allem aber, dass man einfach nichts weiß. Meinung und Wissen sind nicht dasselbe. Ich FINDE, dass das Bild nicht schön ist, ist etwas anderes als, ich WEISS, dass das Bild nicht gut ist. Letztere Aussage ist schwierig evidenzbasiert zu untermauern.
Erschienen in:
How to Art – 19. Jan. 2021