Da sitze ich nun, am Ende dieses endlosen Sommers, am Ufer des Atlantiks und höre den Steinen zu, die seit Millionen von Jahren an dieser Stelle von den Wellen des Atlantiks bewegt werden. Der Strand von Lyme Regis, (ja, da wo Meryl Streep auf dem Pier auf ihren französischen Offizier vergebens wartete) in Südengland, besteht ausschließlich aus Steinen. Steine, die von steter Atlantikwelle aus den sandigen Steilklippen geschwemmt werden und dann so hin und her rollen, den Rest der Zeitenrechnung. Billionen von Steinen von Millionen von Jahren rundgerollt, liegen sie da so rum. Rolling Stones werden halt alt, alt, uralt. Ich sitze dort und höre den Steinen beim Kullern zu. Je nach Größe, machen sie unterschiedliche Klänge dabei, wenn sich das Wasser der Wellen wieder zurückzieht. Ich sitze hier im Zeitenraum, wohl nicht mal ein Wimpernschlag in Steindimension gerechnet und schaue auf meine Kinder, die eben jene Steine untersuchen. Das Kleinste schläft in meinem Arm, eingelullt von meditativen Steinrollklängen mit Meeresrauschen. Ich könnte steinreich werden, hätte ich eine Hand frei und könnte diese Klänge aufnehmen. Mit der freien Hand könnte ich auch noch eine flotte steingraue Webseite erstellen und die Kinder-Einschlaf-Garantie millionenfach verkaufen. Der Stein, auf dem ich Ruhe fand, ist riesig, gemessen an den runden Steinen um mich herum. Nicht stonehengeriesig, aber doch beachtlich. Es war Flut und nun zieht sich das Meer ein Stückchen zurück. Ideale Fossilien Zeit. Denn das unterscheidet diese Steine in ihrer Wertigkeit. Manche sind eben wertvoller als andere. Mein Sohn findet immer etwas, egal ob Bernstein, Fossilien oder Geld. Ich finde hingegen immer Pilze. Und gewinne immer beim Scrabble, nun, beide Talente sind hier sinnlos. So kann ich ganz entspannt auf meinem Stein sitzen und über Zeit und Steine nachdenken. Wie lange das Meer dafür wohl brauchen wird, bis aus diesen Steinen Sand geworden ist? So die meditative Frage in meinem Kopf. Es braucht nicht lange und meine mütterliche Meditation wird unterbrochen von einem freundlichen Briten, der mir einen schönen Tag wünscht und das Kind in meinen Armen einfach „adorable“ findet. Ich bin zurück freundlich und schaue dann den professionellen Steindrehern dabei zu, wie sie Steine auf Fossilien untersuchen. Steine können unfassbare Wertsteigerung erleben, in ihrem Millionen Jahre währendem Leben. Aus Steinsicht gesehen sicher ulkig, passierte doch erst während der letzten paar Stunden des Erdzeitalters, gar Erstaunliches. Da kamen Affen von den Bäumen und seit neuestem sammeln sie Steine. Also nicht nur um andere Affen damit totzuschlagen, sie sammeln sie einfach so, aus Sammelfreude. Manche Steine sind so dabei wertvoll, dass die Affen sie sich um den Hals hängen oder ans Handgelenk binden. Diese Steine sind meistens eher durchsichtig und bunt und sie glitzern. Das Bearbeiten von Steinen war sicher einer der Meilensteine menschlicher Entwicklung. Vom Faustkeil zum Diamantschliff waren es, steinzeitlich gesehen, quasi nur ein paar Minütchen. Aber es gibt moderne Affen, die geraten in noch größeres Entzücken, wenn sie einen Stein finden, in dem ein Ammonit steckt. Oder gar versteinerter Dinodung. Vor fast genau zweihundert Jahren fand, an diesem Küstenstreifen, ein Mädchen von 12 Jahren, Mary Anning, das erste vollständige Skelett eines Ichthyosaurus im Stein versteckt. Ihr Leben lang suchte und fand sie weitere Stein-Dinos. Allerdings um den Hals hat sie sich die Steine nicht gehängt. Beinahe zur selben Zeit entschlossen sich die Briten ein paar Holzbuden an den Strand zu stellen und den Badeurlaub zu erfinden. Ich bin auch ein Meermensch und liebe alles was mal dort drin war. Bernstein, Korallen, Perlen, wobei p c sind in meiner Aufzählung sicherlich einzig die Bernsteine- als Schmuck. Meine kleine Perlauster liegt tief schnarchend in meinem Armen und wiegt gefühlt soviel wie der Stein unter mir. Die anderen Goldstücke drehen fleißig die südenglischen Steine um, heben sie an, wiegen sie, klopfen und verwerfen ohne Unterlass. Die Deutsche in mir überlegt natürlich, ob das jetzt ok sei, wenn man die gefundenen Steine mitnimmt, weil wenn das alle machen würden, dann bla, bla, bla, doch ein britisch-freundliches Hinweisschild beruhigt mich. Man dürfe sehr gern Steine sammeln und klopfen, man möge doch aber bitte davon absehen, sie aus der gefährdeten Steilküste raus zu hacken. Von Weitem sehe ich einen kleinen Menschenaffen sich von der Gruppe lösen und schwer beladen den Stein-Strand entlang schleppen. Mein kleiner Affe kommt über das Geröll und trägt in den Armen ein echtes Kronjuwel. Einen Ammoniten so groß wie ein flacher Medizinball. Was für ein riesen Kopffüßler da vor 400 Millionen Jahren vor sich hin füßelte. Ich bewundere den Fund gebührend, bis die unausweichliche Frage kommt: „Können wir den mitnehmen? BITTE!!!“ Nun, Lufthansa wird mir den wahren Preis dieses Fundes schon verraten, wenn wir beim Kofferaufgeben leider 200 Kilo Übergepäck haben.
„Tja, dann musst du wohl hierbleiben…“ sage ich mütterlich gespielt lustig, doch mein Affe hüpft vor Freude in die Luft! „Ja, ja, ja hier ist so toll!“
Die Steine rollen vor sich hin, während ich mir das Leben mit Riesenammonit statt Sohn vorstelle. Vielleicht ist er besser in Mathe? Wenn ich mich nicht mumifizieren oder zu einem Diamanten pressen lasse, wird in ein paar 1000 Jahren von mir und meinem unbedeutenden Leben, nichts übrig sein. Ein bisschen Sand, wenn´s gut läuft, denn Sand ist ja bald wertvoller als Gold, habe ich mir sagen lassen. So eine immense Wertsteigerung von Mikrosteinchen innerhalb weniger Jahrzehnte, das soll der Diamant mal nachmachen. Der Megafundstein liegt jetzt, lange Rede kurzer Sinn, in der Brandenburgischen Tiefebene. In besagten 1000 oder Millionen Jahren, wird man ihn finden, den Steinammonit und wird damit beweisen, dass in Brandenburg mal Kopffüßler lebten. Unbezahlbar!
Erschienen in:
How to Art – 21. Okt. 2019