…reduce to the past.

Na, das fängt ja gut an…. Atemlos durch das Neujahr, kaum hat man die Kipferl verdaut, die Hose kneift, trotz Tofuente und versprochener Bescheidenheit. Es war eben doch zu regelmäßig der Keksteller gefüllt, der Wein immer gekühlt und viele Freunde mit vielen Kindern brauchten viele Drinks, wenn endlich alle in den Betten lagen. Trotz heiliger Versprechen für die heilige Nacht, der Gabentisch bog sich bedenklich und hoppenstedtsche Zustände herrschten im Treppenhaus. Doch die Kinderaugen glänzten und Mama hatte sich dekorativ selbst übertroffen mit dem Märchen-Weihnachtsbaum. Dies Jahr mal kein Lametta, sondern grimmsche Motive. Wir übertreiben es immer! Aber wir gehen auch in die Kirche und singen inbrünstig Weihnachtslieder. Die Kinderaugen glänzen vor Scham.

Die erste Fastenwoche ist nun um und ich schaue auf das kommende Jahr, das zu bewältigende Jahrzehnt, die Zukunft meiner Nachkommenschaft. Ich bin doch schon Kompost, biologisch gesehen, meine Kinder jedoch, die sind noch frisch und knackig. 2050 ist jetzt genauso weit entfernt, wie 1990 und 1990 war doch erst gestern gewesen. Doch was wird das neue Jahrzehnt bringen oder was bringe ich dem neuen Jahrzehnt? Apropos: Bringen. Musste feststellen, dass mein Sohn wird mich vielleicht gar nicht in 10 Jahren aus dem Berghain abholen wird mit dem Auto… Meine Tochter wird vielleicht nie Ski fahren im Harz.  Unbegeistert schauen sie schon heute auf den Teller an Heiligabend, wenn ich verkünde, dass die Würstchen vegan und die Kartoffeln sich selbst ausgebuddelt haben. Wie unbegeistert werden sie sein, wenn ich auch noch den verbliebenen Familienbus verschrotte und nur noch mental reise, weil alles andere leider verboten worden ist.

Was ich für den Aufbruch in ein neues Jahrzehnt tue, damit meine Kinder es noch kennenlernen, das Gefühl von Freiheit und unbeschwerter Jugend?

Ich übe die Kunst der Selbstreduktion. Wieviel muss von mir eigentlich da sein?

Ich habe mein Auto ersatzlos gestrichen, nachdem es nun tatsächlich mit den Füßen nach oben vor dem Haus meiner Freundin seinen letzten Röchler tat. Eine winzige Schraube im Inneren machte es zu einem 2,5 Tonnen Premiumschrotthaufen. Ich will kein Auto mehr… Ich fahre Fahrrad und meine Beine sind schon fast so sexy, wie die von Lars Ulrich. Laufen geht auch, musste ich feststellen. Und Bahn fahren ist jetzt beinahe so abenteuerlich, wie früher Trampen. Ich übe noch. Fleisch esse ich nicht mehr. Meine Kinder hassen mich für Tofufleischwurst, aber ich mache mittlerweile eine vegetarische Bolognese die so gut ist, da nicken auch Italiener anerkennend. Tierische Produkte werden auf ein Minimum reduziert, Butter ist noch dabei, ich weiß da ist Luft nach oben, ich übe noch. Wer noch Pelz trägt, gehört sowieso lebenslang zwangsverschickt nach Dubai in die Skihalle, der einzige Ort, wo noch sicher Schnee sicher liegt, und dort mit dem Klammerbeutel gepudert.  Apropos Schnee: Ich kokse nicht! Habe ich auch noch nie. Ich denke da ist mein Klimakarma rein und ich sammelte über die Jahre ein paar Extrapunkte. Ich kaufe regional und verzichte auf Erdbeeren und Spargel im Winter. WER ISST SOWAS??? Ich bin letztes Jahr zweimal geflogen. Fehlt mir was? Nein. Habe sowieso Flugangst. Der Verzicht und das Umdenken machen mir sogar Spaß und da werde ich in Zukunft genauer hinsehen. Was man durch Umdenken gewinnt.

Wie wenig braucht man wirklich und worauf kann man wirklich nicht verzichten? Zeit fehlt mir sehr oft. Zeit ist so kostbar geworden. Die Zeit, die ich in der Kindheit mit meinen bescheidenen Großeltern verbrachte, ist unbezahlbar. Seltsam, dass ihre Art zu leben, die Art sein wird, wie wir zukünftig wieder leben werden. Licht aus wenn aus dem Haus, kein Essen wegwerfen, keinen Müll produzieren, Anzüge ändern und nicht neu kaufen, aufbewahren und pflegen, reparieren, lesen in Büchern, Fernseher ausstellen, wenn die Sendung vorbei ist, mit 120 km/h im 15 Jahre alten Audi Quattro über die Autobahn oder mit dem Zug an die Ostsee in den Urlaub fahren, Kochen statt Konvenienzfood, Postkarten schreiben… Einkaufsnetze entheddern, Geschenkpapier bügeln, Entschleunigung. Brot backen. So ein „unverpackt Laden“ hieß früher Konsum oder Tante Emma und so wird eine alte Idee für uns neu verpackt. Obst gehörte nie in Plastik, sondern, wenn überhaupt, immer in diese dreieckigen Papiertüten mit der blauen Obstillu drauf.

Mir fehlt eigentlich gar nichts. Ich bemerke immer mehr wie extrem gut sich auch krasse Veränderungen im eignen Verhalten anfühlen. Es ist doch nicht für mich. Ich bin nicht biologisch abbaubarer Premiumkadaver in nicht allzu ferner Zukunft.

Dinge fehlen einem sowieso selten. Manchmal fehlt mir eine Zigarette, aber ich habe ja die Erinnerung. Schnee fehlt mir. In meiner Erinnerung war Schnee immer schön. Ich würde sehr gern mit den Kindern Schlittschuh laufen gehen. Der See friert nicht mehr zu. Oder einen Schneemann bauen mit meiner Kleinsten.

Erschienen in:
How to Art – 17. Jan. 2020