Nocheinmal, Encore unefois and again…
Ich hatte unlängst einen schrecklichen Albtraum. Ich erwachte schweißgebadet in meinem bescheidenen 300 qm Altbau in Paris, musste erstmal Luft holen, tastete mich vorsichtig an der Tiffany Nachtischlampe vorbei und klingelte dem Butler, er möge mir SOFORT meinen DarjeelingearlybirdFirst Flush von Harrod´s London bringen, rief meine Kinder an, die grade in ihrem Internat in Cambridge von Polo Unterricht kamen und musste erzählen, was ich Schlimmes geträumt hatte.
„Stellt euch vor, Kinder, es gäbe nur noch Kunst von Künstlern, die allen gefallen.“
Meine Kinder brachen in Tränen aus!
„Nein, Mutter, nicht wieder dieser schreckliche Traum!“ Mein Sohn musste seine Tennisstunde mit Steffi canceln, weil er so betrübt war. Meine Tochter fragte, ob wir uns nicht alle am Nachmittag in unserem Haus in Ibiza treffen wollen, um mir beizustehen. Ich sagte, es ginge schon, man sähe sich ja sowieso am Weekend in den Hamptons und legte auf.
Was für ein Albtraum. Das Schlimmste dabei war meine endlose Langeweile,die mir marktgerechte und gesellschaftlich abgenickte Kunst bereitet. Forever Richter mitverwischtenBildern? Francis Bacon toutjour and where ever you look. Mainstream Art, von der Society anerkannt als: GUT! Weil: Kunst kommt von Können-wir-teurer-weiterverkaufen! Blockbuster, wann immer man einschaltet. Gähn! Kassenschlager. Aua! Guter Mainstream, Musik, gut verkäuflich, allseits einsetzbar, im Hintergrund im Fahrstuhl, beim Dinner oder bei den Salzburger Festspielen bei der online After Show Party. WAGNER statt Wagnis BIS IN ALLE EWIGKEIT!!! Helene Fischer schon beim Aufwachen. Kein Punk, kein Neu, kein edgy, krass, verstörend, auflehnend, hintergründig, underground, underdog, underthebridge.
Peter Steele, Sänger und Sexgott der Band “Type O Negative” sagte einst: >If it doesn´t upset people, it´s definitely not Rock n Roll. It has to upset church, it has to upset your parents, it has to upset the school system!<(Wenn es niemanden aufregt ist es definitiv kein Rock´n´Roll. Die Kirche muss sich aufregen, deine Eltern müssen sich aufregen, das gesamte Schulsystem muss sich aufregen.) Zitat Ende.
Ich möchte dieses Zitat auf Kunst erweitern. Das Grenzen ausloten, aufzeigen, und überschreiten oder verwischen ist Teil des Kunstbegriffs. Ohne das „Aufregen“ wird Kunst nur zu einem weiteren Amüsement und DANN auch verzichtbar. Warum wir eben NICHT so einfach alle unsere Künstler in Berlin und sonst wo untergehen lassen dürfen ist, dass wir sonst als Gesellschaft unerträglich werden. Unsere Künstler*innen, die Maler*innen, Autoren*innen, Bildhauer*innen, Dokumentarfilmer*innen, Programmkinobetreiber*innen, Theaterschreiber*innen, Stagedesigner*innen, Modedesiner*innenund Viele mehr, die meine Zeilen sprengen würden, die machen die Kruste auf der wir alle wandeln entschieden dicker. Kreatives Denken ist für eine Gesellschaft überlebenswichtig. Die ComfortZone ist der Tod des Geistes. Der Streit muss sein. Streit ist Teil unserer Kultur, das Aufregen regt uns auf aber auch an und Konsens klingt in Künstlerohren, wie Konserve.
Dosenkunst, wie eins schon von Andy Warhol propagiert, unendlich reproduzierbar und niemand stört sich daran, dass wirklich in JEDEM Haushalt eins dieser Popart Poster hing, weil der Ääändy war doch ääächtartsy. Oh, really?
Die vielen gesparten Flugmeilen, die vielen obsoleten Partyoutfits, die wir nicht kaufen müssen, die vielen teuren Nächte, durchgefeiert im Berghain, lasst uns das Geld in Kunst investieren. Wann ist der richtige Zeitpunkt, Kunst zu kaufen? Jetzt! Was soll man kaufen? Was Neues! Von wem denn? Von Künstler*innen geschaffen, die wirklich getrieben sind Grenzen auszureizen, innere und äußere, die sich entwickeln, an sich arbeiten und nie stillstehen. Dedicated, drivenandtalented.
Wände sind zu bestücken, Zeit sinnvoll zu nutzen, Köpfe zu befüllen, Augen zu unterrichten, Ohren zu stimulieren, wenn der nächste Shutdown uns wieder lahmlegt. Stell dir vor es ist Quarantäne und Netflix zeigt nur Til Schweiger Filme. Stell dir vor alle Kreativen, die du einst kanntest, arbeiten jetzt bei Amazon als Lageristen, weil sie wieder systemrelevant sein und essen wollen.
Willkommen! Bienvenue! Welcome! Fremde, Etranger, Stranger! ImCabat, au Cabaret, in Cabaret!
Die Kruste wird dünner. Deutschland kann sich keine weitere Ausdünnung von Kulturschaffenden leisten. Nicht noch einmal! Wieder angekommen in den Twenties des neuen Jahrtausends, wieder eine Stadt wie Berlin, international verrucht, gentrifiziert und unentdeckt, saniert und verkommen, überteuert und verarmt, sprachlich und politisch verwirrt und doch noch ziemlich frei, NOCH. Diesmal sollten wir alle dazu beitragen, die Kunst und Kulturszene zu bewahren und zum Bleiben zwingen. Und nicht nur durch Subvention, sondern durch Investition!
Glücklich zu sehen! Je suisenchanté! Happy to see you! Bleibe, rester, stay!
Das Schlimmste was passieren kann, wenn man Kunst kauft ist, dass einem etwas nicht mehr gefällt. Dann verkauft oder der verschenkt man es. Oder tut es aufs Lager neben die anderen Kippenberger und Anselm Kiefer, die auch nicht mehr zum Sofa im Haus in Keitum oder auf Ibiza passen. Bestenfalls bleibt der Kick, eventuell einen Schatz ganz früh entdeckt zu haben, jemanden, der steil durch die Decke geht und man ist einer der Glücklichen, die sich auf irgendeiner Ausstellung in Friedrichshain ein Bild für 450,-Euro gekauft haben und nun dafür einen zweistelligen Millionenbetrag geboten bekommen. Hey, dann erträgt man doch auch noch eine Weile den Geruch von Terpentin und Motoröl!
Lottogewinn nur bunter.
Während ich aus dem Albtraum erwachend meinen Tee von Harrod´s schlürfe, stellt sich mir die Frage: Was, wenn das alles Traum war? Die Selbstverständlichkeit, mit der ich davon ausgehe, meine Kinder europaweit zum Studieren schicken zu können, zu reisen, ins Theater zu gehen, zu Galerieeröffnungen, ins Kino. Restaurants, Wein trinken, Konzerte besuchen.Wenn Europa und eine tolerante offene Gesellschaft nur ein kleiner glücklicher Lichtstrahl in der Geschichte waren.
Just a dreamwithin a dream… dann heißt es: Auf Wiedersehen, a bientôtandfarewell.
Erschienen in:
How to Art – 19. Aug. 2020