ROYAL WITH POISE

Ich bin ja keine Royalistin, aber … mich erschütterte die Nachricht, mit der man natürlich rechnete, dass sie käme, und die man doch stets befürchtete. THE Queen is dead. Ich hatte ihr noch mindestens die Hundert gewünscht, der zweiten großen Königin Englands, die so lange herrschte, dass sie 14 Premierminister ernannte. Ich kannte keine Welt ohne eine Königin in England, ohne dass man „God save the Queen“ sang, ohne eine Armee von Corgies und einer Frau mit Kopftuch auf einem Pferd. Sie war England, Europas große Monarchin, die mein Bild von der britischen Lady prägte. Gummistiefel zu Perlenkette und Twinset. Die eine fast so schwierige Familie verwaltete wie meine eigene. Mit starker Hand und British poise.

Haltung ist etwas sehr Seltenes in unserer Zeit. Haltung ist mehr als eine Pose oder ein Zustand. Haltung ist, wie jede Ballerina weiß oder jeder, der die ersten Male auf einem Pferderücken Platz nimmt, jeder, der Yoga beginnt, oder jeder, der in einem ICE vom Bord- Restaurant mit heißem Kaffee in der Hand zurück auf seinen Platz schlenkert, unerlässlich und unerhört schwierig! Aber zum Groß-und-gut-Sein unerlässlich, und selbst dann bedeutet es, Schmerzen aushalten, eigene und die der anderen. Wie schwierig es ist, nur auf sich zurückgeworfen zu sein und auf das eigene Selbst. Wenn man schon in der ersten Position umkippt, das Pferd einen wie einen Affen auf dem heißen Schleifstein aussehen lässt, der Gruß des Phönix zum gerupften Huhn wird, man möchte es sofort wieder sein lassen, das mit dem Haltungeinnehmen- Üben, denn der Verlust der Haltung hat etwas Würdeloses. Der schlafende Herr mit Halbglatze im Ruheabteil bekommt eine Ladung heiße Lava ab, muss leiden, weil ich haltlos bin. Oder weil ich Haltung wahren will, der Kaffee aber eben nicht. Die innere Haltung zu finden, einzunehmen und zu verteidigen, schlicht sie zu wahren ist eine Königinnen-Disziplin. Eben deshalb nehmen so wenige heutzutage diese ein. Man wird ja nicht nur dafür geliebt, au contraire, ganz im Gegenteil. Schon dem eigenen Nachwuchs gegenüber, die egal wie gesunde Haltung der „Bösen“ einzunehmen, Halleluja! Wie gern würde ich manchmal einfach nur erlauben, erlauben, ERLAUBEN! Oder noch besser: Einen draufsetzen! Neue Handys für alle! Unbegrenztes Datenvolumen, na klar! Soll ich euch Popcorn machen und die Vorhänge zuziehen, die Sonne scheint ja wirklich derbe auf eure Bildschirme, sorry! Morgen Klassenarbeit? Ich schreib euch eine Entschuldigung … für den Rest der Woche!!! Aufräumen? Quatsch!! Ab morgen erzieht ihr euch ganz allein, okay???

Oh, seht das Glänzen in den Augen der lieben Kleinen, hört die: „Du bist die beste Mama der Welt!!“-Rufe! Da stehe ich, auf dem Balkon meines Motherhood- Palace, die seidenbehandschuhte Hand winkend, nur schnell die schwere diamantenbesetzte Mutter-des- Jahres-Krone zurechtrückend, hebe ich die Hand zum Gruß und mein Kinds-Volk jubelt. Mein Sohn legt mir den hermelinbesetzten Mantel um … Ja, sicher doch bekommst du Australien, mein Schatz, zum Surfen. So, und nun bitte deale der Rest der Welt mit den Ergebnissen meiner Erziehung … Nie hat mein Sohn mich mehr gehasst, wie als ich ihm drei lange Wochen den digitalen Zugang zur Außenwelt versagte, jedwedes elektronisches Device wegschloss. Er musste sich mit seinen Freunden treffen! Da wurde mir sehr klar, dass Erziehung Haltung bedeutet und für beide Seiten ein schmerzhafter Lernprozess ist. Meine Haltung macht mein Leben sicherlich nicht einfacher und ergo das meiner Kinder auch nicht, und doch war mir die Aufgabe meiner Haltung zumeist eine noch viel schlimmere Vorstellung.

Und wenn ich ihretwegen mal ein extremes Keiner-verstehtmich- Gefühl hatte, dann, ehrlich zugegeben, dachte ich an die Queen. Wie oft hat man sie gescholten für ihren eisernen Umgang mit of course vor allem her family affairs. Insgeheim habe ich sie dafür tief verehrt. Eine große Frau. „Stop beeing cute!“ ist einer der prägendsten Sätze von Jane Elliott gewesen, die Frau, die die „Blue Eyed Workshops“ entwickelte, um gegen Rassismus ins Feld zu ziehen. Sie und die Queen waren meine feministischen Icons. Frauen mit Haltung. Es gibt keinen anderen Weg, will man ernst genommen werden in dieser Welt und um groß zu werden. Dabei ist Haltung niemals mit Meinung zu verwechseln. Und Haltung ist nicht gefühllos, ganz im Gegenteil. Ihr Sohn, jetzt King Charles III., muss ziemlich große Gummistiefel ausfüllen und mit kleinen, fetten Hunden Gassi gehen. Auch das erfordert Haltung. Long live the King!

Erschienen in:
ICON 7/2022