Alles ist Zitat. Eine Epoche, eine Kunststil, ein Evolutionssprung, ein Bild, ein Lied. Ein Film. Ein Buch. Ein Wort. Ein Klang (frei nach Gottfried Benn). Wir Kreative zitieren und zehren von vor uns dagewesenen Schöpfungen, stoßen uns quasi am Beckenrand der Vergangenheit ab, um genug Kraft zu entwickeln, um den Weg durch das Nasse, Kalte ins „Neue“ zu wagen und hoffentlich auch zu schaffen. Wir zitieren und mit jedem Zitat, entfernen wir uns ein Stück mehr vom Original und legen eine Schippe drauf. Das Zitat, eines Zitats, eines Zitates ist dann meist so weit vom Original entfernt, dass es Abstraktion wird. Etwas ganz Eigenes vielleicht, im besten Fall. Irgendwann ist das Original verschwunden. Nur noch die Hülle steht da. Der wage Moment, wo aus Kunst Kitsch wird und die Übertreibung ins Übertriebene kippt.
Und irgendwo da, wo aus Barock, Rokoko wurde, aus Jugendstil, Art Deco, dann aus Rokoko und Zwanziger Jahre die Achtziger, da ist es total camp.
Schrill für die Kinder der Achtziger. Camp für die Kinder von Essayistinnen. Nur schrill war gut. David Bowie, Freddy Mercury, die jungen Wilden, Pop Art, Peter Zadek und „Die einstürzenden Neubauten“, Falco und Amadeus, Madonna, The Rocky Horror Show, Blues Brothers … um nur ein paar zu nennen. Die Spiele waren eröffnet.
Die vergangenen Epochen der Befreiung von Schubladen und erlaubten Gedanken-und Gefühlswelten, hatten den Weg geebnet. Das Spiel mit Geschlecht und Identität, Farbe und Bedeutung, Humor und Satire, Gottlosigkeit und Gottglaube, alles war erlaubt. Alles IST erlaubt. Der Witz war, dass man durch das Zitieren und übertreiben, die Wahrheit versuchte zu finden. Je schriller ein Transvestit die eigene Erscheinung kreiert, desto klarer wird das Bild, das er übertreiben will. Das Bild der Frau, das ihr von der Gesellschaft zugestanden wird und das Bild, das eine Frau von sich selbst zeichnen will zum Beispiel. Das Bild, der Kern, die Wahrheit ist im Auge der Inszenierung. Das geschulte Auge wird immer den leisen Moment, das Augenzwinkern erkennen. Da wo man das Original durchschimmern sieht.
Es bedarf eines schier unendlichen Wissens vergangener Zeit und Epochen und Moden und Stilrichtungen, um camp zu sein und zu verstehen, zu wissen, wie wichtig diese Art der Darstellung und Inszenierung ist. Denn es ist eine Inszenierung, eine gut recherchierte und detailverliebte. Freddy Mercury hat den übertrieben heterosexuellen, in der männlich opernhaften Pose erstarrten Sängertypus- Rockstar studiert, hat imitiert, zitiert und ein neues Image (Bild) geschaffen, und das Ganze hieß dann auch noch: „QUEEN“. Danach versuchten die männlichen aufstrebenden Rocker, irgendwie wie Freddy zu sein.
Pornoaffin und kunstverliebt, Jeff Koons zitierte die gekünstelten Meissner Porzellan Figürchen, die sich im Original küssten und neckten, und ließ sie nun endlich den Akt vollenden. Nach 300 Jahren Vorspiel, durfte man nun endlich zur Tat schreiten. Explicit and camp!
Das Musical „Hedwig and The angry Inch“ ist total camp. Spielt es im Berlin der Achtziger Jahre mit der Rock Musik des New Yorks der 60er und 70er Jahre, wo in dem Underground -Club „C.B.- G.B.´s“ der Punkrock geboren wurde, als Männer noch in Frauenkleidern Hard Rock spielten und die Ramones den Drei-Riff-Song erfanden, der dann aus England wieder zurückkam, und alle dachten, Malcom McLaren hätte den Punk erfunden. So angstfrei war die Musik wohl nie wieder.
Hedwig singt in einer Schlüsselszene über den Ursprung der Liebe und zitiert Plato. Auf der Suche nach dem Original, muss frau schon manchmal ins antike Griechenland stöckeln, wo damals schon jungen Männern mit Marmor-Popo gehuldigt wurde. Irgendwo muss das ja auch herkommen!
Respekt ist der Schlüssel zur Übertreibung, denn solange ich das Original kenne UND respektiere, für das was es war, ist, immer sein wird, kann die Überzeichnung nicht aus dem Spannungsfeld kippen. Geschmacklos sein dabei ist voll ok., ohne Geschmack geht´s gar nicht. Ohne Geschmack ist alles fad und leblos. Ohne Geschmack ist ohne Bildung ist ohne Liebe. Ist wie eine Rose ohne Rose ohne Rose.
Das Zitat muss leben, denn dann lebt auch das Original weiter.
Doch was, wenn wir irgendwann das Zitat eines Zitates für das Original halten? Bei gecoverten Songs (meist passiert das mit Liedern von Neil Young und Bob Dylan) weiß doch oft keiner mehr, dass schon das Cover ein Cover eines Covers ist. Oder wenn man die Kunst der Travestie, für Homosexualität an sich hält. Oder wenn man glaubt, in der Bibel steht die Originalgeschichte von „Jesus and The merry Men.“ Dann glauben wir auch, dass camp von Campen kommt und können alle schon mal den Campingkocher rausholen. Dann ist Schluss mit Room-Service!
Der Film „Ready Player One” spielt in einer postcampen Zukunft. Avatare sind die leeren Hüllen von zitierten Zitaten einst lebender Personen, denn keiner fügt der realen Welt noch etwas Neues hinzu. Die Menschen leben in einer digitalen Parallel- Welt, ohne den Ursprung für all das zu kennen. Die Apokalypse der Kreativität. Und wir sind schon mittendrin. Das Wacken Festival bangt um Nachwuchs mit bühnenreife, denn irgendwann kommt Bruce Dickinson echt nicht mehr die Pyramide hoch. Helene Fischer überall, Pop ist nur noch ohne den -ART Zusatz unterwegs und die Liebe und die Bildung stirbt einen langsamen und qualvollen Tod, denn ein Bachelor ist nun mal ein Honk im Anzug mit Rose und Instagram Herzchen keine Beziehung.
Hausaufgabe zur Rettung des camp Seins:
Wer hat Fever im Original gesungen? Nein, nicht Elvis.
Und „Hedwig and the Angry Inch“ schauen. In dem Fall gern den Film, falls das Musical grade nicht in der Stadt aufgeführt wird.
Und Plato lesen...
One Research a day keeps the Bachelor away and keeps me camp!
Erschienen in:
How to Art – 11. April 2019